Adel und Wirtschaft. Lebensunterhalt der Adeligen in der Moderne

Adel und Wirtschaft. Lebensunterhalt der Adeligen in der Moderne

Organisatoren
Ivo Cerman MA / Dr. Lubos Velek MA, Institut für Geschichte Tschechiens, Philosophische Fakultät, Karls-Universität Prag
Ort
Prag
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.06.2005 - 01.07.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Josef Matzerath, TU Dresden

Der Workshop über "Adel und Wirtschaft" steht im Kontext weiterer Konferenzen an der Prager Karls-Universität über "Ausbildung im Adel" sowie zu "Adel und Politik", die die "Forschungsgruppe "Adel in den böhmischen Ländern 1749-1948" im November 2004 durchgeführt hat bzw. im November 2005 veranstalten wird. Ivo Cerman und Lubos Velek, die Organisatoren dieser Tagungen, haben nicht nur Referenten zum böhmischen Adel eingeladen, sondern den Horizont in die Länder der Habsburgermonarchie und auch in andere Nachbarländer geweitet. Deshalb sind die Workshops der Prager Adelsforscher eines der wenigen Foren, auf denen derzeit deutsche Adelsgeschichte überhaupt und zudem kontinuierlich diskutiert wird. Der Workshop zu "Adel und Wirtschaft" mit dem Untertitel "Lebensunterhalt der Adeligen in der Moderne" fokussierte nach dem Plan der Veranstalter zunächst die Veränderungen im adeligen Wirtschaften während des 19. Jahrhunderts. Grundsätzlich blieb das Konzept aber offen, auch nicht an Landbesitz gebundene Adelsökonomien zu analysieren.

1) Mit der Ausgangslage des Adels befasste sich ein erster Teil: "Grundherrschaften im 18. Jahrhundert - Krise oder Konjunktur". Zu diesem Thema referierte Ales Valenta (Königgrätz 1) über die Finanzlage der adeligen Gutsbesitzer in Böhmen 1750-1800. Rasch steigende Steuerlasten, die drei schlesischen Kriege, der bayerische Erbfolgekrieg, sowie die Agrarreformen Maria Theresias und Josephs II. brachten die adeligen Besitzer der böhmischen Herrschaften während des 18. Jahrhunderts in eine hohe Verschuldung. Allerdings korrelierte der hohe Abgabendruck mit ebenfalls hohen Absatzpreisen, sodass von Ausnahmen abgesehen, der Großgrundbesitz in der Hand der herkömmlichen Besitzer und ihrer Nachfahren verblieb. Am Beispiel des Franz Graf Kinsky konnte Valenta für das Jahr 1766 aufzeigen, wer die Kreditoren des Großgrundbesitzers waren. Ein Drittel des geliehenen Geldes gehörte je zur Hälfte anderen Mitgliedern der Familie Kinsky bzw. Mitgliedern des böhmischen Hochadels. Weitere 27 Prozent des Kredits gab die Kirche. Davon entfiel wiederum mehr als die Hälfte (14 Prozent) auf Fundationen der Familie Kinsky. Insgesamt waren damit zu 60 Prozent Gelder in der Herrschaft des Grafen Kinsky angelegt, über deren Verwendung Mitglieder des Adels verfügten bzw. auf die sie Einfluss nahmen.

Vladimir Prazak (Budweis) untersuchte die Finanzwirtschaft der Grafen von Czernin aus der Perspektive ihres Hauptkassierers Wenzel Roczek, der dieses Amt in den 1780er Jahren innehatte. Aus den Briefen, die der Hauptkassierer an den Sekretär des Grafen Czernin schrieb, lässt sich der alltägliche Geldbedarf ermitteln. Die Grafen von Czernin standen im Jahre 1733 vor dem Bankrott der Familienfinanzen. Die Folgen dieser prekären Lage wurden zwar langfristig überwunden, sie waren aber noch in den 1780er Jahren zu spüren.

2) Den zweiten Teil des Workshops zum Thema "Neue Einkommensquellen - neue Lebensweise?" eröffnete Dana Stefanova (Wien) mit einem beeindruckenden Referat über "Gutsherren als Bankunternehmer der Aufklärung". Hinter dem allgemein gehaltenen Titel verbarg sich eine Fallstudie zur "Wiener octroyirten Kommerzial-, Leih- und Wechselbank". Über drei Jahrzehnte, von 1787-1830, existierte in Wien eine Bank auf Aktienbasis lange bevor derartige Institute gängige Praxis wurden, um die großen Investitionen des industriellen Take-offs zu finanzieren. Als Oberdirektoren dieser Bank fungierten drei Adelige der ersten Wiener Gesellschaft, die mit ihrem Vermögen für die Geschäfte des Unternehmens einstanden. Diese persönliche Haftung der Hauptaktionäre und eine Einschränkung des Geschäfts auf gesamtgesellschaftlichen Nutzen, der zumindest in den Statuten des Geldhauses festgeschrieben war, unterschieden diese Aktienbank von ihren modernen Nachfolgern.
Tomas Krejcik (Troppau) lieferte mit seinen "Bemerkungen zur "Refeudalisierung" der Eliten im 19. Jahrhundert" einen Einblick in den Forschungsstand zu diesem Thema.

3) Mit der Entwicklung der böhmischen Grundherrschaft vom Jahre 1848 bis 1945 befassten sich fünf Referenten. Milan Hlavacka (Prag) berichtete über seine Forschungen zur Modernisierung des Großgrundbesitzes von Georg Lobkowitz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese Untersuchung rekonstruierte die Wirtschaftsweise einer der 15 reichsten Familien in Böhmen, deren Besitz sich auf eine Fläche von 13.500 ha belief. In einem Mix von traditionellen und neuen Methoden führte der Fürst gemeinsam mit seinen leitenden Angestellten seine landwirtschaftlichen Betriebe.
Der Vortrag von Konstantinos Raptis (Athen) schloss zeitlich an, in dem er für die Grafen Harrach Großgrundbesitz, Fideikommiss und Vermögen im frühen 20. Jahrhundert untersuchte. Nach dem Auseinanderbrechen der Monarchie verteilte sich das Vermögen der Grafen Harrach auf die Länder Österreich, Ungarn und vor allem auf die Tschechoslowakei. Dort lagen etwa 87 Prozent des Vermögens. Es bestand aus Land- und Forstwirtschaft, Mietwohnungen und Immobilien, Industrie- und Handelsunternehmen sowie aus verschiedenen Kapitalanlagen. Der Chef des Hauses, Otto Graf Harrach, steuerte diesen beträchtlichen Besitz auch nach dem Ende der Monarchie aus zentraler Position und mit großer Sorgfalt und Unternehmungslust. Er plante auch die langfristige Fortsetzung einer zentralen Vermögenslenkung innerhalb der Familie.

Otto Chmelik (Teschen) analysierte den thun-hohensteinschen Großgrundbesitz Teschen für die Jahre 1918-1946. Er konnte dort aber keine so ungebrochene Besitzbewahrung konstatieren, da dieses Adelsgeschlecht nach der Aufhebung der Fideikommisse im Jahre 1924 innerfamiliäre Besitzstreitigkeiten vor Gericht austrug. Die jüngere Linie der Grafen Thun-Hohenstein, die das Fideikommiss verwaltet hatte, musste an die ältere Linie so hohe Entschädigungen zahlen, dass ihre böhmischen Besitzungen auf 45 Prozent und die mährischen auf 40 Prozent schrumpften.
Einen Vergleich der böhmischen und englischen Bewirtschaftungsweisen von Großgrundbesitz, bot das Referat von Tatjana Tönsmeyer (Berlin/Mainz). In beiden Ländern hatten adelige Landbesitzer aufgrund ihrer Besitzkonzentrationen eine starke Stellung in der Landwirtschaft. Obwohl die vermittelnde Position der Verwalter nicht zu unterschätzen ist, die zwischen dem adeligen Landbesitzer und den verschiedenen Gruppen der ländlichen Gesellschaft agierten, lag die Entscheidungskompetenz letztlich bei den adeligen Gutsherren. Sie nahmen aufgrund ihres ökonomischen und kulturellen Kapitals bis in die Alltagsgeschäfte hinein Einfluss auf die ländliche Gesellschaft. Für England konnte Tönsmeyer auch nachweisen, dass Adelige diesen Einfluss im Sinne ihrer politischen Ziele einzusetzen wussten.

Den Fluchtort des Fürsten Adolf Schwarzenberg vor der europäischen Entwicklung fokussierte Sarka Lellkova (Pardubitz). Keineswegs als rein ökonomisches Investitionsobjekt, sondern als Ausweichmöglichkeit vor dem Bolschewismus kauft der Fürst eine Farm in Afrika. In einer Kolonialgesellschaft, die in ihrer Spitze eine europäische Elitengesellschaft war, ließ sich neben dem Vergnügen an der Jagd, der Freude am wirtschaftlichen Experimentieren oder dem Sieg der Technik über die Dürre auch der einfachere Lebensstil mit einigen importierten Elementen von "Adeligkeit" (z. B. Tischkultur und Dienerschaft) einrichten und ein bereits "verlorenes Paradies" revitalisieren.

4) Im vierten Block, der den adeligen Güter in den Nachbarländern Böhmens gewidmet war, bot die Tagung einen Vortrag zu Ungarn und zwei zu Sachsen. Andras Vari (Miskolc) sprach über die Typen des ungarischen Großgrundbesitzes, ihre wirtschaftliche Entwicklung und soziale Auswirkung 1780-1848. Der Komitatadel blieb außerhalb der Betrachtung. Für die ungarischen Magnaten konstatierte Vari vier Phasen mit unterschiedlichen Bezügen zu ihren Besitzungen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts, als das Land nach den Türkenkriegen wiederaufgebaut wurde, hatten die Magnaten einen starken Ortsbezug. Sie wohnten auf ihren Besitzungen und wollten diese bis ins letzte Detail patrimonial beherrschen. Seit dem letzten Drittel desselben Jahrhunderts prosperierten die Großgrundbesitze durch eine Agrarkonjunktur und durch Ansätze zur bürokratischen Verwaltung. In dieser Zeit beeinträchtigte die Abwesenheit der Magnaten die Ökonomie der Herrschaften kaum. Gleichzeitig schnitt die Urbarialregulierung Maria Theresias im Jahre 1767 in die Bande der unumschränkten patrimonialen Herrschaft tief hinein. Infolgedessen zog die Aristokratie am Ende des 18. Jh. in recht bedeutenden Ausmaß von ihren Besitzungen weg, vor allem nach Wien. Erst als sich im Vormärz eine Tendenz zur Politisierung abzeichnete, begann ein Teil der Magnaten erneut ihre lokalen Machtgrundlagen auszubauen, um aufgrund dieser Basis Landtagssitze einnehmen zu können. Damit verlagerten sich ihre Lebensbereiche zum Teil weg von Wien, nach Preßburg und Pest.

Silke Marburg (Dresden) bestritt mit ihrem Referat "Der Bund fürs Leben: Ressourcentransfer durch Heiraten am Beispiel der Albertiner-Hochzeiten zwischen 1850 und 1865", dass das Denken und Handeln des Adels in der Moderne - wie oft unterstellt - vom "Irrationalen" geleitet wurde. Der Adel stand dem Ökonomischen nicht als "irrationaler Akteur" gegenüber. Adelige vermochten es, auf diesem Feld gesellschaftlichen Handelns durchaus sinngerichtet zu agieren. In der Konkurrenz zu anderen Sinnsetzungen des Adels lässt sich jedoch für den Bereich der Wirtschaft nach spezifischen Bedingungen des Handelns Adliger fragen. Für ihr Fallbeispiel, die Heiraten der Söhne und Töchter des sächsischen Königs Johann, ermittelte Marburg geschlechtsspezifisch differierende Ziele. Für die Töchter sollte in ökonomischer Hinsicht ein standesgemäßer Lebensstils garantiert werden. Das Heiratskalkül für die Söhne stellte sich - entsprechend des agnatischen Prinzips des Hauses - als Gesamtkalkül für die Zukunft der Dynastie dar. Ökonomische Argumente gerieten nachweislich in den Hintergrund gegenüber konfessionellen, moralischen, politischen und persönlichen (nicht aber gegenüber dem Kriterium der Ebenbürtigkeit). Mangelndes Vermögen der Braut wurde bei der Heirat des Kronprinzen Albert sogar durch Hypotheken auf den Grundbesitz der Brauteltern in Mähren abgesichert - eine neuartige Hilfskonstruktion.

Einen langfristigen Überblick über die Veränderungen adeligen Großgrundbesitzes bot Tim Müller (Dresden) in seinem Referat "Adel und Rittergutsbesitz im sächsischen Vogtland (1763-1945)". In dieser Region des Königreiches Sachsens, deren Rittergüter Müller komplett statistisch erfasst hat, lag der Wert des einzelnen Großgrundbesitzes wesentlich unter dem der böhmischen Herrschaften und ähnelte eher dem der brandenburgischen Rittergüter. Allerdings besaßen die Adelsfamilien im Vogtland häufig mehrere Rittergüter. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wechselten vor allem die weniger ertragsstarken Rittergüter in den Besitz Bürgerlicher. Zur Konsolidierung ihres Vermögens trennten sich Adelsfamilien häufig von Teilen ihrer Güterkomplexe. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vermochten sich Adelige dann jedoch auf ihren vergleichsweise großen Rittergütern bis zur Bodenreform des Jahres 1945 zu behaupten.

Die klischeehafte Auffassung, dass Adelige sich als ökonomisch unkluge Verschwender verhielten, konnte die Tagung in allen Beiträgen und durchgängig widerlegen. Dagegen erwies sich die Frage nach dem spezifischen Adeligen in der Wirtschaftsweise auch durch intensive Einzelstudien zur Ökonomie als kaum einholbar. Dazu bedarf es einer kombinierten Analyse, die zusätzlich zu den Betriebsbilanzen die Absichten und Zwecke von Konsum untersucht.

Anmerkung:
1 Die deutschsprachigen Ortsangaben des vorliegenden Textes folgen dem Usus des Prager Workshops.


Redaktion
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